Phönix-ETS

Vom Dampf zur Energieneutralität

Kaustische Korrosion

Kaustische Korrosion

ist eine der zerstörerischsten Korrosionsarten in Dampfkesseln. Sie tritt auf, wenn sich Natriumhydroxid (NaOH) im Kesselwasser auf bestimmten Oberflächen stark aufkonzentriert und die schützende Magnetitschicht des Stahls angreift. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Mechanismen, Auswirkungen und Präventionsstrategien dieser aggressiven Korrosionsform.


1. Einleitung: Die Heimtückische Gefahr der Kaustischen Korrosion

Kaustische Korrosion, auch als “Caustic Gouging” oder Laugenfraß bekannt, ist ein hochaggressiver Korrosionsmechanismus, der in Dampfkesseln zu schweren Schäden führen kann. Im Gegensatz zu allgemeiner Flächenkorrosion, die Material über große Bereiche hinweg gleichmäßig abträgt, konzentriert sich die kaustische Korrosion auf lokal begrenzte, tiefgehende Angriffe. Dies führt zu unregelmäßigen Auswaschungen oder Rinnen (“gouges”) im Kesselstahl. Die Gefahr liegt nicht nur im Materialverlust selbst, sondern auch in der extrem hohen Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess fortschreitet, sowie der Bildung von Kerben, die das Risiko eines plötzlichen Versagens des Kesselrohrs oder der Schweißnähte erheblich erhöhen. Trotz des Einsatzes moderner Wasseraufbereitungsmethoden bleibt kaustische Korrosion eine ständige Bedrohung, deren Verständnis und Prävention von größter Bedeutung für die Betriebssicherheit und Langlebigkeit von Dampfkesselanlagen ist.


2. Mechanismus der Kaustischen Korrosion

Die kaustische Korrosion ist ein komplexer elektrochemischer Prozess, der unter spezifischen Bedingungen abläuft:

2.1. Die Rolle von Natriumhydroxid (NaOH)

Die Korrosion wird durch hochkonzentriertes Natriumhydroxid (NaOH) ausgelöst. Im Kesselwasser wird typischerweise Natriumphosphat (oft Trinatriumphosphat, ) zur pH-Pufferung und Härtekonditionierung eingesetzt. Bei hohen Temperaturen und Drücken hydrolysiert Trinatriumphosphat in einem gewissen Maße zu freiem Natriumhydroxid:

Dieses freie NaOH ist normalerweise in geringen, kontrollierten Konzentrationen im Kesselwasser unschädlich. Kritisch wird es erst durch lokale Überkonzentration.

2.2. Lokale Überkonzentration: Das Herzstück der Gefahr

Die gefährliche Konzentration von NaOH findet typischerweise unter Ablagerungen (Kesselstein, Schlamm, Korrosionsprodukte) oder in Spalten und Rissen statt.

  • Verdampfung in der Pore (“Boiling in the Crevice”): Unter einer porösen Ablagerung oder in einem engen Spalt kann Wasser verdampfen, aber die gelösten Salze – einschließlich NaOH – können nicht mit dem Dampf entweichen. Sie bleiben zurück und reichern sich massiv an. Die Konzentration von NaOH in diesen Mikro-Bereichen kann das Tausendfache der Konzentration im restlichen Kesselwasser erreichen.
  • Wärmezufuhr: Diese Bereiche liegen oft auf Wärmeübertragungsflächen, wo die Ablagerung eine isolierende Wirkung hat. Dies führt zu einer lokalen Überhitzung des darunterliegenden Metalls und beschleunigt die chemischen Reaktionen zusätzlich.

2.3. Angriff auf die Magnetitschutzschicht

Stahl in Dampfkesseln bildet bei hohen Temperaturen eine schützende, dichte Magnetitschicht (). Diese Schicht ist der primäre Passivierungsschutz gegen Korrosion. Das hochkonzentrierte Natriumhydroxid in den Konzentrationszellen greift jedoch diese schützende Schicht an und löst sie auf:

Die Produkte dieser Reaktion sind lösliche Natriumferrite und Natriumferroite, die abtransportiert werden, wodurch die Stahloberfläche freigelegt wird.

2.4. Direkter Angriff auf den Stahl

Sobald die schützende Magnetitschicht lokal entfernt ist, greift das konzentrierte NaOH den blanken Stahl (Eisen) direkt an. Eisen wird gelöst und bildet lösliche Eisenverbindungen:

Dieser Prozess ist hochaggressiv und führt zu einem schnellen Materialabtrag in Form von tiefen “Auswaschungen” oder “Rinnen” (Gouging). Wasserstoffgas () kann dabei entstehen und in das Metall eindringen, was das Risiko einer Wasserstoffversprödung erhöht.


3. Auswirkungen und Gefährdung

Die kaustische Korrosion stellt eine massive Bedrohung für die Betriebssicherheit und Wirtschaftlichkeit von Dampfkesselanlagen dar:

  • Lokale, tiefe Schäden: Der charakteristische Materialverlust in Form von “Gouging” ist extrem lokalisiert und kann tiefe Gruben oder Rinnen in die Rohrwandungen fressen. Diese Schäden sind oft schwer zu entdecken, da sie unter Ablagerungen oder in unzugänglichen Bereichen auftreten.
  • Hohe Korrosionsraten: Die Korrosionsrate bei kaustischer Korrosion ist außerordentlich hoch. Während normale Korrosionsraten im Bereich von wenigen Mikrometern pro Jahr liegen, kann kaustische Korrosion Materialverluste von mehreren Millimetern pro Monat verursachen. Dies bedeutet, dass ein Kesselrohr innerhalb weniger Wochen oder Monate nach Beginn des Problems vollständig durchfressen werden kann.
  • Plötzliches Versagen: Die scharfkantigen Auswaschungen wirken als Spannungskonzentratoren. Unter dem inneren Kesseldruck können diese geschwächten Bereiche plötzlich und ohne Vorwarnung versagen, was zu einem Rohrbruch führt.
  • Betriebsunterbrechungen und Kosten: Rohrbruch erfordert eine sofortige Stilllegung des Kessels, teure Reparaturen, langen Produktionsausfall und kann zu umfangreichen Folgeschäden führen.
  • Sicherheitsrisiko: Ein plötzlicher Rohrbruch birgt ein extremes Sicherheitsrisiko für das Betriebspersonal durch austretenden Hochdruckdampf und heißes Wasser.

4. Präventionsstrategien

Die Prävention von kaustischer Korrosion konzentriert sich auf die Vermeidung der lokalen NaOH-Konzentration und die Stärkung des passiven Schutzes:

4.1. Exzellente Speisewasserqualität:

  • Härtefreiheit: Der absolute Nullpunkt an Härtebildnern (Calcium, Magnesium) im Speisewasser ist unerlässlich, um die Bildung von Kesselsteinablagerungen zu verhindern. Dies erfordert eine hochleistungsfähige Wasseraufbereitung (z.B. Enthärtung, Umkehrosmose, Demineralisierung).
  • Minimierung von Eisen und Kupfer: Diese Metalle sind Korrosionsprodukte aus dem Vor-Kessel-Bereich (Kondensat, Speisewasserleitung). Sie bilden Ablagerungen, die als Konzentrationsstellen dienen können. Eine optimierte Kondensatrückführung und gegebenenfalls Kondensatreinigung sind hier wichtig.
  • Silikatkontrolle: Silikat kann ebenfalls Ablagerungen bilden und die Qualität der Magnetitschicht negativ beeinflussen. Strikte Grenzwerte müssen eingehalten werden.

4.2. Strikte Kontrolle der Kesselwasserchemie:

  • Na/PO₄-Verhältnis: Die wichtigste chemische Kontrolle ist die genaue Steuerung des Natrium-zu-Phosphat-Molverhältnisses im Kesselwasser. Bei den meisten Drücken wird eine kongruente Phosphatbehandlung oder eine Behandlung mit reduzierter Alkalität angewendet, bei der das Na/PO₄-Verhältnis streng zwischen 2,2:1 und 2,6:1 (oder noch enger, je nach Kesseldruck) gehalten wird. Dies minimiert die Bildung von freiem NaOH.
  • Gesamtalkalität: Die Gesamtalkalität des Kesselwassers muss innerhalb der vom Hersteller und Normen empfohlenen Grenzen gehalten werden. Eine zu hohe Alkalität erhöht das Risiko einer unkontrollierten NaOH-Bildung.
  • Abschlämmen: Regelmäßiges und kontrolliertes Abschlämmen ist unerlässlich, um die Konzentration der gelösten Salze und suspendierten Feststoffe im Kesselwasser unter den kritischen Grenzwerten zu halten.

4.3. Optimierter Sauerstoff- und pH-Schutz:

  • Effiziente Entgasung: Ein thermischer Entgaser muss optimal funktionieren, um gelösten Sauerstoff und Kohlendioxid zu entfernen.
  • Sauerstoffbinder: Der Einsatz von leistungsstarken Sauerstoffbindern wie DEHA (Diethylhydroxylamin) ist entscheidend. DEHA ist nicht nur ein Sauerstofffänger, sondern fördert auch aktiv die Bildung einer dichten und passivierenden Magnetitschicht () auf den Metalloberflächen. Es hilft, vorhandene poröse Eisen(III)-oxide zu reduzieren und in den stabileren Magnetit umzuwandeln, was die Schutzschicht widerstandsfähiger gegen Angriffe macht.
  • Kondensatbehandlung mit Aminen: Neben Ammoniak kann der Einsatz von Morpholin in komplexen oder ausgedehnten Kondensatsystemen vorteilhaft sein. Morpholin besitzt ein günstigeres Verteilungsverhältnis Dampf/Wasser, wodurch es entferntere Systembereiche effektiver alkalisiert. Ein stabiler pH-Wert im Kondensatbereich minimiert den Eintrag von Korrosionsprodukten (Eisen, Kupfer) in den Kessel, die sonst Ablagerungen bilden und Konzentrationsstellen schaffen könnten.

4.4. Betriebliche und konstruktive Maßnahmen:

  • Vermeidung von Überhitzung: Stabile Betriebsweise ohne extreme Lastspitzen oder Wärmeströme, die die Ablagerungsbildung und Konzentrationsprozesse fördern könnten.
  • Gute Schweißnahtqualität: Konstruktive Maßnahmen zur Vermeidung von Spalten und Rissen in Schweißnähten und Materialübergängen. Regelmäßige Inspektionen (Endoskopie, Ultraschall) zur Früherkennung von Schäden.
  • Chemische Reinigung: Bei Anzeichen von kaustischer Korrosion oder signifikanter Ablagerungsbildung ist eine professionelle chemische Reinigung des Kessels notwendig, um die Angriffsflächen zu beseitigen.
  •  

5. Fazit

Kaustische Korrosion ist eine ernsthafte und schnell fortschreitende Bedrohung für Dampfkessel. Ihre Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit massive und lokalisierte Materialschäden zu verursachen, erfordert eine proaktive und präzise Wasserbehandlungsstrategie. Die konsequente Minimierung von Verunreinigungen im Speisewasser, die akribische Steuerung der Kesselwasserchemie – insbesondere des Na/PO₄-Verhältnisses – und der gezielte Einsatz von Sauerstoffbindern wie DEHA zur Förderung einer stabilen Magnetitschicht sind unerlässlich. Nur durch ein umfassendes Überwachungsprogramm und die schnelle Reaktion auf Abweichungen kann das Risiko eines unkontrollierten Ausbruchs kaustischer Korrosion minimiert und die langfristige Sicherheit und Zuverlässigkeit des Dampfkesselbetriebs gewährleistet werden.

Phönix-ETS hält Ihre Energieanlagen verfügbar:
Von Störungsbeseitigung an Dampfkesseln bis hin zu Energieberatung für optimierte Betriebskosten